Es dürfte an den meisten vorbeigegangen sein: In einem kleinen medialen Spektakel kämpfte kürzlich ein KI-Sprachmodell gegen einen Heilpraktiker. Die zwei Duellanten trugen in der Lokalzeitung einen Konflikt aus, mit dem Björn Höcke gern die absolute Mehrheit in Thüringen holen will. Es geht um das Thema Energiewende, das die Leute hier polarisiert – so könnte man glauben.
In Teil eins dieser Reise haben wir im Vorbeifahren festgestellt: Das eigentliche Thema heißt Windenergie, denn Solaranlagen sind im Saale-Orla-Kreis schon auf vielen Dächern zu finden. Und das Thema polarisiert auch gar nicht so stark, wie es scheint. Darum wird es Zeit für eine kleine Bestandsaufnahme: Wie steht es hier um die Energieerzeugung? Gibt es überhaupt einen Kampf auszutragen?
- Teil 1: Gegen die Energiewende. Windrad? Nicht vor meiner Haustür!
- Teil 2: Ganz vorn dabei? Zwischen gefühlter und gemessener Nachhaltigkeit.
- Teil 3 (folgt): Grabenkampf zur Belustigung. KI gegen Heilpraktiker in einem Streit, der keiner ist.
Überdurchschnittlich regenerativ?
Blicken wir noch kurz zurück: Die Mehrheit im Kreistag Saale-Orla (OTZ) stellte Mitte September symbolisch fest: Es brauche keine Windenergie im Kreis. Wasserkraft-, Photovoltaik- und Biogasanlagen leisteten bereits „einen überproportionalen Beitrag zur Energieerzeugung aus regenerativen Quellen“. Selbst der Chef der Oppositionsfraktion Die Linke/SPD/Grüne stimmte nach eigenem Bekunden nur dagegen, weil das Moratorium nicht bindend sei.
Nur: Stimmt die zugrunde liegende Einschätzung? Lässt sich sachlich gegen jedes einzelne Windrad im Kreis argumentieren? Geht es hier um den Energiebedarf? Um die angebliche Verspargelung der Landstriche? Um Schall und Schattenwurf? Oder ist das wichtigere Phänomen Reaktanz, also Ablehnung dessen, was als vorgeschrieben wahrgenommen wird?
Es lohnte sich, die einzelnen Aspekte des Problems ausführlicher zu beleuchten. Bleiben wir aber heute vor allem bei dieser Frage: Leistet der Saale-Orla-Kreis wirklich schon überproportional viel in Sachen regenerative Energieerzeugung? Zumindest den Ausbau, also die installierte Leistung, können wir in offenen Daten nachvollziehen. Er lässt sich mit einem Blick auf das Klimadashboard visuell überprüfen. Detailliertere Zahlen gibt das Marktstammdatenregister.
Bevor wir weitergehen: Ein paar Hinweise zur Methodik
Alle Zahlen in diesem Beitrag sind formal auf dem Stand vom 22. Dezember 2025, können aber aufgrund von Meldezeiträumen bis zu einen Monat hinterherhängen.
Ich habe angenommen, dass im Saale-Orla-Kreis auf 1.151,31 km² Fläche (Thüringer Landesamt für Statistik, 31.12.2024) 76.706 Personen leben (ebenda, 30.06.2025). In der Bundesrepublik Deutschland leben auf 357.684,22 km² Fläche (Destatis, 31.12.2024) 83.497.147 Personen (Destatis, 30.09.2025).
In diesem Beitrag schauen wir uns nur die installierte Leistung an. Hier ist nicht eingerechnet, wie lang die Anlagen tatsächlich unter Last laufen. Das schwankt bekanntlich bei Erneuerbaren. Die Zahlen drücken also nicht aus, wie viel am Ende tatsächlich produziert wird.
Allgemein gilt: Ich bin kein Journalist und auch kein Ökonom. Ich recherchiere diese Dinge rein aus persönlichem Interesse. Hinweise zu Fehlern oder guten Datenquellen nehme ich gern entgegen. Korrekturen werden eingepflegt und am Ende des Textes kenntlich gemacht.
a. Photovoltaik: Auf gutem Weg
Mit etwa 2,19 kWp installierter PV-Kapazität pro Person liegt der Landkreis über dem Bundesschnitt, in Relation zur Fläche darunter. Das passt zum Eindruck: Auf vielen Häusern der Umgebung glänzen die PV-Module. Große Solarparks sind in unserem Flächenlandkreis seltener.
| Photovoltaik | Saale-Orla-Kreis | Bundesrepublik Deutschland |
|---|---|---|
| Installierte Leistung | 168.128 kWp | 116.502.845 kWp |
| pro Quadratkilometer | 146,03 kWp | 325,57 kWp |
| pro Person | 2,19 kWp | 1,39 kWp |
b. Wind: Nicht bei uns
Bezüglich Windkraft ist die Kreisstadt Schleiz mit exakt null installierten Anlagen ein gänzlich unbeflecktes Stück Land. Das Bild ändert sich nur wenig an anderen Orten im Landkreis. Neue Anlagen registrierte das Marktstammdatenregister zuletzt 2021, davor 2017.
| Wind | Saale-Orla-Kreis | Bundesrepublik Deutschland |
|---|---|---|
| Installierte Leistung | 61.130 kW | 77.181.955 kW |
| pro Quadratkilometer | 53,10 kW | 215,78 kW |
| pro Person | 0,80 kW | 0,92 kW |
Trotz unserer niedrigen Bevölkerungsdichte erzeugen wir weniger Windenergie pro Kopf als im Bundesschnitt. Auch das trifft die These des ersten Teils, dass Windräder hier nicht gut gelitten sind.
c. Wasser¹: Ausruhen auf der Vergangenheit
Wie steht es um die Wasserkraft? In der Tat liegt die Talsperre Bleiloch im Landkreis. Der zugehörige Stausee fasst so viel Wasser wie kein anderer in Deutschland. Zur sogenannten Saalekaskade gehören noch einige kleinere Anlagen. Die Bleilochtalsperre kommt allein auf eine Leistung von 80 MW (Wikipedia, Vattenfall).
Die Anlagen stammen aus den Zwanzigern und Dreißigern des 20. Jahrhunderts und liefern seit vielen Jahren Strom. Für sie mussten einige Menschen ihre Häuser verlassen. Inzwischen sind sie eine touristische Attraktion, beworben als Thüringer Meer. Von Umweltzerstörung oder den Belüftungsproblemen der Siebziger (Wikimedia Commons / Bundesarchiv) spricht kaum noch jemand. Fast 100 Jahre nach dem Bau der Talsperren ist man heute stolz auf die Ingenieurskunst, die dahinter steckte (MDR).
Bei allem Erfolg steht allerdings fest: Es wird keine Erweiterung geben. Das Potenzial an Wasserkraft ist in Deutschland weitestgehend erschöpft (Bundestag), von den ökologischen Auswirkungen neuer und alter Anlagen ganz zu schweigen (Umweltbundesamt). Der Beitrag der Talsperren zur Stromproduktion stagniert darum, anteilig geht er bei steigendem Strombedarf sogar zurück.
Können wir uns also mit unserer Wasserkraft schmücken? Wir hatten das Glück, auf unserem Flecken Erde einen See statt einen Tagebau anzulegen, aber zählt das so viele Jahre später noch? Zur Deckung des zusätzlichen Energieverbrauchs, der unter anderem für digitale Annehmlichkeiten entsteht, leisten wir so keinen Beitrag.
[1] Leider ist das Marktstammdatenregister hier unbrauchbar, weil die Talsperren als Stromspeicher zählen und die automatischen Auswertungen zur Energieerzeugung somit wenig aussagekräftig sind. Die Bleilochtalsperre zum Beispiel fehlt in der aktuellen Einheitenübersicht komplett. Damit wird die Kapazität im Kreis stark unterschätzt.
d. Biomasse: Umstrittener Ausweg
Damit bleibt für die beschworene Vorreiterstellung in Sachen Erneuerbare noch die Biomasse. Ihre Rolle für eine nachhaltige Energieerzeugung ist mindestens umstritten (Umweltbundesamt). Der Beitrag von Biomasse zur Stromerzeugung ist deutschlandweit seit etwa zehn Jahren konstant, wobei neue Anlagen „vornehmlich der Flexibilisierung der Stromerzeugung“ dienten (Umweltbundesamt).
| Biomasse | Saale-Orla-Kreis | Bundesrepublik Deutschland |
|---|---|---|
| Installierte Leistung | 92.826 kW | 9.076.780 kW |
| pro Quadratkilometer | 80,63 kW | 25,38 kW |
| pro Person | 1,21 kW | 0,11 kW |
Laut Marktstammdatenregister sind im Saale-Orla-Kreis aktuell Anlagen mit insgesamt 92.826 kW Leistung installiert. Flächenmäßig ergibt dies tatsächlich etwa eine dreimal so hohe installierte Leistung wie im Bundesschnitt. Somit ist zumindest Bioenergie – in Bezug auf Fläche und Bevölkerung – überdurchschnittlich vorhanden.
Wärme und Mobilität außen vor
Es lässt sich also festhalten, dass der Saale-Orla-Kreis bei Wind weit unter dem Durchschnitt, bei Photovoltaik im vorderen Mittelfeld, bei der Wasserkraft historisch bedingt überdurchschnittlich und bei Biomasse ebenfalls überdurchschnittlich unterwegs ist. Weder Wasserkraft noch Biomasse zeigen allerdings aktuell einen steigenden Trend. Beide haben ökologisch problematische Schattenseiten. Im Gegensatz zur Windenergie spielen diese in der öffentlichen Debatte aber keine Rolle.
Bisher haben wir nur die Stromerzeugung betrachtet. Zur nachhaltigen Entwicklung muss auch der Verkehr einen Beitrag leisten. Mobilität heißt hier in erster Linie: Autoverkehr. Teile des Landkreises sind mehr als 30 Autominuten vom nächsten Bahnhof entfernt. Das nächste Krankenhaus liegt gern einmal im Nachbarlandkreis – nicht nur in Grenznähe. Der Anteil der Autos je 1000 Personen liegt in Schleiz laut Klimadashboard mit 665 über dem bundesweiten Schnitt von 590 (Stand: 2025, Destatis).
Ein großflächiges ÖPNV-Angebot wäre sicher wünschenswert und in der Tat ist der örtliche Verkehrsbetrieb Kombus in manchen Bereichen Pionier (OTZ, OTZ). Völlig ohne Autos wird es aber wohl in diesem hügeligen Flächenlandkreis nicht gehen. Damit rücken E-Autos in den Fokus – die den Strombedarf erheblich steigern dürften. Im Vergleich zu anderen Gegenden werden wahrscheinlich überproportional viele elektrische Fahrzeuge dazukommen.
Dasselbe gilt für die Wärmeversorgung, die laut Zensusdaten von 2022 in Schleiz hauptsächlich über Gas (55,0 %), Fernwärme (17,6 %), Heizöl (11,6 %) und Holz (9,3 %) gedeckt wird (Klimadashboard). Auch hier dürfte in Zukunft mehr Strom gebraucht werden. Aktuell sind viele Eigentümer noch zurückhaltend, was die Umstellung auf Erneuerbare angeht (OTZ), aber der in naher Zukunft einsetzende Zertifikatehandel dürfte die Perspektive für fossile Heizungen deutlich verschlechtern (DLF).
Was nicht diskutiert wird
Unsere kurze Bestandsaufnahme legt nahe: Es sieht zwar nicht fürchterlich aus, aber einen großen Teil der aktuellen Lage verdanken wir glücklicher Topografie und zweifelhaft nachhaltiger Biomasse. Weitere Herausforderungen zeichnen sich ab.
Dass der gesamte Kreistag sich dennoch einig ist, Windkraft ablehnen zu wollen, wirft zumindest die Frage nach einem „Stattdessen?“ auf. Wie gehen wir um mit zunehmender Elektrifizierung? Woher soll der Strom für unsere Autos, Wärmepumpen und Co. kommen? Wer Windkraft als Antwort rundheraus ausschließt, ist zumindest einen Alternativvorschlag schuldig.
Im dritten Teil dieser Serie werden wir sehen, dass die letzte Tageszeitung der Gegend stattdessen einen anderen Umgang mit der Windkraft-Debatte wählt. Warum das Björn Höcke gleich mehrfach freuen dürfte, sehen wir uns in Kürze an. Schließlich steht noch ein Duell aus, das ich lange versprochen habe.
Hinweis zur KI-Nutzung: Dieser Beitrag wurde von mir recherchiert und formuliert. Zum Korrekturlesen kam GPT-5.2 zum Einsatz.

