Dies ist der erste Abschnitt einer mehrteiligen Reise. Wir sind unterwegs zu einem kleinen medialen Spektakel, einem Ringkampf zwischen einem KI-Sprachmodell und einem Heilpraktiker. Die zwei Duellanten trugen vor Kurzem einen Konflikt aus, mit dem Björn Höcke gern die absolute Mehrheit in Thüringen holen will. Es geht um das Thema Energiewende, das die Leute hier polarisiert – so könnte man glauben.
Aber bevor wir beim Ringkampf ankommen, liegt noch etwas Strecke vor uns. Wir werfen neugierige Blicke aus unserem gedachten Zugfenster.
- Teil 1: Gegen die Energiewende. Windrad? Nicht vor meiner Haustür!
- Teil 2 (folgt): Ganz vorn dabei?. Zwischen gefühlter und gemessener Nachhaltigkeit.
- Teil 3 (folgt): Grabenkampf zur Belustigung. KI gegen Heilpraktiker in einem Streit, der keiner ist.
Seltsame Realität
Ich kenne die Menschen aus meiner Gegend, dem thüringischen Oberland, als sehr eigensinnig. Eine gewisse Ähnlichkeit zum gallischen Dorf von Asterix und Obelix lässt sich sicher feststellen. Sie haben, ganz positiv gemeint, ihren eigenen Kopf, sind gern unabhängig und stolz auf die Arbeit ihrer eigenen Hände. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Verbundenheit mit dem eher schroffen, nicht allzu dicht besiedelten Flecken Erde, auf dem sie wohnen.
Und doch frage ich mich immer wieder, ob diese Beobachtung zutrifft. Fügen wir unser gallisches Dorf mal ins Gesamtbild ein: Das Jahr ist 2025. Auswirkungen des Klimawandels sind allenthalben zu sehen. Der Thüringer Fichtenforst ist weitestgehend durch Hitzesommer und Borkenkäfer zerstört (OTZ). Extremwetterereignisse begünstigen Waldbrände wie dieses Jahr in Saalfeld (OTZ). Die Aussichten dahingehend werden nicht besser (DWD, PIK), während wir auf eine deutlich heißere Welt zusteuern.
Auftritt erneuerbare Energien: Es kommt eine Möglichkeit daher, seine eigene, dezentrale Stromversorgung aufzubauen. Im gleichen Zuge könnte man sich von ein paar der großen Unternehmen unabhängig machen, auf die zu schimpfen hier sehr üblich ist. Trotzdem: Zahlreiche Dörfer machen mit großen Leinwänden am Ortseingang darauf aufmerksam, dass sie gegen Erneuerbare sind.
Erneuerbare auf dem eigenen Dach …
Ein Widerspruch? Nur teilweise. Schauen wir an den Ortseingangsschildern vorbei, sehen wir immer mehr Solaranlagen auf den Dächern. Und das ist nur folgerichtig: In den Dörfern hier leben viele Menschen in (ehemaligen) Bauernhäusern. Sie haben meist kein großes Einkommen, dafür aber häufig große Grundstücke und wohnen nicht zur Miete. Es steht ihnen also frei, bauliche Änderungen vorzunehmen.
Und das wurde über die Jahre bekanntermaßen immer attraktiver. Solarpanele sind heute erschwinglich und effektiv. Der erzeugte Strom macht sich nicht nur bei den Nebenkosten, sondern direkt im App-Dashboard bemerkbar: Das eigene Haus produziert plötzlich Energie. Was Strom betrifft, sind einige Nachbarn weitestgehend autark – und verkünden das auch gern über den Gartenzaun. Es verwundert nicht, dass solche Nachrichten auf offene Ohren stoßen.
… aber nicht auf der Flur!
Bei Windenergie sieht die Angelegenheit ganz anders aus. Dagegen richten sich die großen Transparente am Ortseingang. Nur: Was ist der große Unterschied? Warum greifen hier nicht die gleichen Effekte wie bei der Solarenergie? Auch mit Windkraft können Gemeinden und Bürgerenergie-Genossenschaften Geld verdienen. Selbst Thüringen Forst erwägt (wohlgemerkt unter einer CDU-geführten Landesregierung), mit Windenergie Einnahmen zu generieren (OTZ).
Stattdessen ruft das Thema bei einigen Menschen hier starke, mitunter leidenschaftliche Ablehnung hervor (OTZ). Gegen den Aufbau von Windkraftanlagen werden eigene „Dokumentarfilme“ gedreht (OTZ). Und auch sonst ist sich jeder Ort sehr sicher, für Windkraft ungeeignet zu sein. Die Selbstvergewisserung wird hier zum Hobby: Um den Schrecken zu verdeutlichen, werden Wanderungen durch mögliche Windvorranggebiete organisiert und Rotorblätter mit Absperrband abgesteckt (OTZ).
Energiewende am Ende?
Von der Windkraft aus geht es dann schnell aufs Ganze: Die Energiewende als Projekt sei gescheitert. Der Staat riskiere mit Schönwetter-Technologien Blackouts und treibe mit hohen Strompreisen Unternehmen und Haushalte gleichermaßen in den Ruin. Der Ärger ist da, ähnliche Behauptungen sind häufig zu vernehmen.
An dieser Stelle in aller Kürze: Natürlich ist die Energiewende eine Herausforderung und sie kann nur gelingen, wenn sich einige Dinge wandeln, etwa Netze ausgebaut und Speicher geschaffen werden. Ob das gelingt, ist eine Frage der Politik, nicht der Physik. Zur Frage, ob es sich lohnt, sagt die Wissenschaft immer wieder: Es wird teurer, es nicht zu tun (Tagesschau, Helmholtz Klima). Und die Knackpunkte liegen ja auf dem Tisch (Landesbank Baden-Württemberg).
Dunkelflauten werden allerdings auch heute schon mehrfach im Jahr bewältigt (MDR). Erneuerbare sind in der Herstellung billig, in den gesellschaftlichen Kosten noch billiger und werden voraussichtlich sogar noch billiger (BR). Die hohen Strompreise werden durch die teureren Gaskraftwerke verursacht, die aktuell noch zur Stabilisierung benötigt werden (Klimareporter). Dazu kommt, dass Strompreise und die viel beschworene „Deindustrialisierung“ nicht immer so eng zusammenhängen, wie es auf den ersten Blick scheint (Klaus Seipp auf Substack).
Kreistag weitestgehend einig
Hier im Umland überzeugen diese Fakten allerdings nicht. Die Devise zur Windkraft lautet in etwa: Unserer Natur sind wir verbunden – wir beschützen sie vor den riesigen Vogelvernichtern, die uns Landes- und Bundesregierung in den Wald stellen wollen. Der drohenden Verspargelung unserer schönen Landschaft sagen wir den Kampf an. Wäre gut fürs Klima, sagt ihr? Da können wir paar Menschen nichts ausrichten. Und wir haben unser Soll ja schon erfüllt!
Die Mehrheit im Kreistag Saale-Orla (OTZ) scheint jedenfalls überzeugt zu sein, dass Windkraft nicht notwendig ist. Wasserkraft-, Photovoltaik- und Biogasanlagen leisteten bereits „einen überproportionalen Beitrag zur Energieerzeugung aus regenerativen Quellen“, heißt es im Beschluss zu einem symbolischen Windkraft-Moratorium im September. Weitere Installationen könnten daher rundheraus abgelehnt werden.
Vier CDU-Abgeordnete enthielten sich, die sechs Abgeordneten der Fraktion Die Linke/SPD/Grüne stimmten dagegen. Kurios dabei: Ihr Vorsitzender betonte dem Zeitungsbericht zufolge, „dass seine Ablehnung nicht das Moratorium an sich betreffe, sondern die Tatsache, dass das Moratorium rechtlich keine Bewandtnis habe“. Die Einigkeit in diesem angeblich so polarisierenden Thema ist also fraktionsübergreifend groß – ein Fakt, den wir uns für später merken sollten.
Für den Moment stellen sich aber andere Fragen: Stimmt diese Einschätzung? Lässt sich sachlich gegen jedes einzelne Windrad im Kreis argumentieren? Geht es hier um den Energiebedarf? Um die angebliche Verspargelung der Landstriche? Um Schall und Schattenwurf? Oder ist das wichtigere Phänomen Reaktanz, also Ablehnung dessen, was als vorgeschrieben wahrgenommen wird?
Wir haben gesehen: Während Solaranlagen attraktiv sind, gilt bei Windenergie das Sankt-Florian-Prinzip („Heiliger Sankt Florian / Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“, katholisch.de), auch bekannt als NIMBY (engl. „Not in my backyard“, etwa: „Nicht vor meiner Haustüre“, Wikipedia). In dieser Ablehnung allerdings besteht große Einigkeit. In Teil zwei dieser kleinen Reise gehen wir zumindest der erstgenannten Frage auf den Grund: Trägt der Saale-Orla-Kreis bereits überproportional zur erneuerbaren Energieversorgung bei?

